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Wuträume

Von Peter Winkels (Kunstvermittler des HKW)

Die Kameras die Jürgen Kuhn für sein Projekt gebaut hat, waren ursprünglich mal Bonbondosen. Durch zugeklebte kleine Löcher in den Seitenwänden fällt bei Entfernen des Klebers Licht auf einen Diafilm im Inneren der Dose. Dieser kann ganz normal entwickelt werden. Dennoch arbeitet der Künstler bei diesem Projekt ganz bewusst nicht mit regulären Kameras. Zum einen bieten die Dosen keine Möglichkeit, das Bild im Augenblick der Entstehung zu beeinflussen, es gibt weder Blende noch Verschlusszeiten. Zum anderen können die Filme zwar entwickelt werden, sie können aber auch in der Dose bleiben, vor allen Blicken geschützt. Dies ist dem Künstler besonders wichtig, denn er arbeitet mit Menschen, die gerade Therapie in einem Behandlungszentrum für Folteropfer in Berlin abgeschlossen haben.

Diese Zusammenarbeit ist bereits vor einem Jahr entstanden, an dem Projekt für Wuträume haben nun Menschen aus verschiedenen Ländern teilgenommen. Während der Wöchentlichen Treffen wird besprochen, wie sich Wut in verschiedenen Kulturkreisen äußert. Es werden auch Wuträume thematisiert: Besondere Orte in Berlin, an denen die Klienten immer wieder Wut empfinden. Mehrheitlich handelt es sich um behördliche Institutionen;Gefängnissen, Sammelwohnheime, Einwanderungsstellen. Da die Teilnehmer in ihren Herkunftsländern verfolgt werden, sind sie auf Asyl angewiesen, also existentiell abhängig von den Institutionen Deutschlands. Mit den selbst gebauten Kameras kehren die Teilnehmer an diese Orte zurück und haben nun die Möglichkeit, sich ästhetisch mit ihnen auseinanderzusetzen.

Jürgen Kuhn ist Künstler, er ist kein Therapeut. Er arbeitet mit verschiedenen Medien, unter anderem Fotografie und Installation. Die Auseinandersetzung mit Wuträumen hat aber Potenzial, viele negative Erinnerungen und Emotionen wiederaufleben zu lassen. Die unterschiedlichen Hintergründe der Einzelnen stellt auch insofern eine Herausforderung  dar, als dass aufgrund der Sprachbarrieren bei fast jedem Treffen Dolmetscher dabei sein müssen. Dennoch überlegt Jürgen Kuhn, ein Langzeitprojekt daraus zu machen. Denkbar wäre, die Dosen in Krisengebiete zu schicken und dort belichten zu lassen.

In der Präsentation im Haus der Kulturen der Welt sind nicht die entstandenen Fotos zu sehen, sondern die Kameradosen, mit denen diese aufgenommen wurden. Die belichteten Filme in der Dose bleiben verschlossen wie in der Büchse der Pandora. Der Künstler und die Teilnehmer wollen vermeiden, dass durch die Bilder bloß Klischees bestätigt werden. Letztlich bleibt nur zu erahnen, was die Folteropfer in ihren persönlichen Wuträumen erlebt haben. Der Betrachter bleibt mit seinen Bildern allein.     

Haus der Kulturen der Welt 2009 

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